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BGH-Beschluss zur Einordnung von Energieanlagen nach EuGH-Urteil: Keine Privilegierung für Kundenanlagen mehr?

15.05.2025

Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 (Az. EnVR 83/20) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf den Betrieb und die Planung von Energieinfrastrukturen in Deutschland haben wird. Anlass war das vieldiskutierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. November 2024, das die deutsche Regelung zur Kundenanlage (§ 3 Nr. 24 a EnWG) für europarechtswidrig erklärt hatte.

Hintergrund des Verfahrens

Dem BGH-Beschluss lag ein Fall zugrunde, in dem ein Energieversorgungsunternehmen den Netzanschluss für zwei getrennte Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24 a EnWG für vier Wohnblöcke mit 96 und sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten im Rahmen der Planung zweier Blockheizkraftwerke, mittels derer die Anwohner mit Wärme, Warmwasser und Strom versorgt werden sollten, beantragte. Zudem wurde die Bereitstellung von Zählpunkten beantragt. Die zuständige Netzbetreiberin lehnte den Antrag ab, mit der Begründung, dass es sich nicht um Kundenanlagen handele, sondern um ein (geschlossenes) Verteilernetz. Diese Einschätzung bestätigten sowohl die Landesregulierungsbehörde als auch das OLG Dresden.

In der anschließenden Rechtsbeschwerde legte der BGH dem EuGH die Frage vor, ob die nationale Regelung des § 3 Nr. 24 a EnWG mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL (EU) 2019/944) vereinbar sei.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte klar: Die deutsche Sonderregelung zur Einstufung von Energieanlagen als Kundenanlagen ist mit Unionsrecht unvereinbar. Nach dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts dürften Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Kriterien einführen, die den Anwendungsbereich der Richtlinie verkürzen. Entscheidend sei allein, ob die betreffende Anlage Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung an Großhändler oder Endkunden weiterleitet – in diesem Fall handelt es sich zwingend um ein Verteilernetz (Art. 2 Nr. 28 RL).

Allein das Kriterium der Spannungsebene sowie das Kriterium von Kunden, an die Strom weitergeleitet wird, seien maßgeblich, um diese Einordnung vorzunehmen.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sowohl die Norm des § 3 Nr. 24 a EnWG mit seinen Voraussetzungen als Ausnahme als auch die in der deutschen Rechtsprechung stets weiterentwickelten Kriterien, anhand derer die Einordung als Kundenanlage erleichtert werden sollte, zu weit gefasst sind. Die Mitgliedstaaten dürfen durch diese Weiterentwicklung keine Ausnahmetatbestände zu den regulierten Netzen schaffen, die im Unionsrecht so nicht vorgesehen waren. Das Unionsrecht selbst gibt enge Ausnahmetatbestände vor, die durch das Konstrukt der Kundenanlage umgangen wurde.

BGH zieht Konsequenzen

In seinem Beschluss folgt der BGH nun der Linie des EuGH. Er wies die Rechtsbeschwerde zurück und stellte klar, dass es sich bei der geplanten Infrastruktur nicht um eine Kundenanlage im Sinne des EnWG handelte, sondern stattdessen um ein reguliertes Verteilernetz. Die entsprechende deutsche Vorschrift sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine Kundenanlage nur dann vorliege, wenn die Voraussetzungen eines Verteilernetzes nach EU-Recht nicht erfüllt seien. In dem hiesigen Einzelfall dienen die Leitungen „der Weiterleitung von Elektrizität, die zum Verkauf an Endkunden durch die Antragstellerin bestimmt ist“ und sind damit als Netzinfrastruktur einzuordnen.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung hat weitreichende Folgen: Unternehmen, die dezentrale Energieversorgungseinrichtungen betreiben oder planen, können sich nicht mehr auf eine Privilegierung nach § 3 Nr. 24 a EnWG berufen, wenn die Anlage faktisch als Verteilernetz einzustufen ist. Die Folge ist, dass unter anderem regulierungsrechtliche Pflichten – etwa zur Entgeltregulierung oder Entflechtung – zur Anwendung kommen.

Zwar bleibt die detaillierte Begründung des BGH-Beschlusses noch abzuwarten, doch ist bereits jetzt klar: Die rechtliche Einordnung von Energieinfrastrukturen wird künftig maßgeblich durch das europäische Regelwerk geprägt. Eine bloße Einhaltung der formalen Kriterien des deutschen EnWG genügt nicht mehr, um eine Ausnahme von den regulierten Netzen geltend zu machen. Spannend bleibt, wie der ausdrückliche Hinweis auf den Verkaufszweck an Endkunden in der ausführlichen Begründung (die noch nicht vorliegt) konkretisiert wird. Das könnte ein letzter Hoffnungsschimmer für die Kundenanlage sein.

Handlungsempfehlung

Für Betreiber bestehender Kundenanlagen besteht zunächst keine unmittelbare Pflicht zur Umstellung, soweit sie entsprechend des geltenden Rechts errichtet worden sind. Allerdings ist mit einer Reaktion des Gesetzgebers und/oder der Bundesnetzagentur zu rechnen, die auch den Bestand betreffen wird. Für neue Projekte empfiehlt es sich dringend, frühzeitig eine energierechtliche Prüfung vorzunehmen, um Risiken regulatorischer Nachschärfungen oder Investitionsunsicherheit zu vermeiden.  

Unsere Kanzlei berät Sie gerne zu den rechtlichen und praktischen Implikationen dieses Paradigmenwechsels im Energierecht – insbesondere im Hinblick auf Projektplanung, Netzanschluss, Regulierungspflichten und mögliche Übergangsregelungen.

Weitere Informationen finden Sie in der Pressmeldung des Bundesgerichtshofs.